Sonntag, 8. November 2009

So etwas wie ein Nachruf

Die jahrelange Agonie der "Netzeitung" ist vorbei. Kurz vor dem zehnjährigen Jubiläum kam jetzt das Aus per wortkarger Pressemitteilung. Das Aus, mit dem viele schon länger gerechnet hatten, das freilich dennoch niemand herbeisehnte - außer vielleicht den Controllern im fernen Köln, wo die Zentrale des Medienkonzerns DuMont Schauberg beheimatet ist, der das Blatt im April dieses Jahres übernommen hatte.

Zum 31. Dezember wird Deutschlands wohl bekannteste Nur-Netz-Zeitung nun dicht gemacht, und die inzwischen auf zwölf angestellte und eine wechselnde Anzahl freier Mitarbeiter geschrumpfte Mannschaft bekommt den Laufpass. Goldene Handschläge, wie andernorts üblich, wird es wohl nicht geben - betriebsbedingt wird ihnen gekündigt, der Betrieb der Seite indes noch im ersten Quartal 2010 fortgesetzt, um "bestehende vertragliche Verpflichtungen" einzuhalten, wie es heißt.

Wenn alle von Bord sind, soll netzeitung.de dann als "automatisiertes Nachrichtenportal" fortbestehen. Fragt sich, ob dann noch irgend jemand die Seite besuchen wird, wenn dort bloß ein beliebiger Newsfeed abgespult wird und keine Menschen mehr die Nachrichten auswählen und verdichten, keine Redakteure mehr ihre Geschichten und mitunter pointierten Kommentare als Lesefutter anbieten. Gewiss, sie haben zuletzt nicht mehr ein Millionenpublikum erreicht und nicht in derselben Liga gespielt wie "SpOn" oder ähnliche News-Portale. Aber sie haben immer wieder Akzente gesetzt, etwa mit ihrer gut informierten Medienkolumne oder dem erfrischenden Blogblick, mit ihren Filmkritiken - und mit ihrer Schnelligkeit. Kaum ein anderes Online-Medium ist beständig so aktuell gewesen wie die - seit geraumer Zeit nur noch mit einer Rumpfredaktion ausgestattete - "Netzeitung".

Die Trauer wird dennoch kurz sein, denn das Netz ist schnelllebig. Und auch die Blüte der heute erfolgreichen Nachrichtenseiten dürfte nurmehr von kurzer Dauer sein: Immer mehr Verlage überdenken die Geschäftsmodelle ihrer für die Leser bislang kostenlosen Angebote. Erst jüngst, auf den Medientagen in München, kristallisierte sich die vorherrschende Meinung der Verleger heraus, die Sache mit dem paid content endlich richtig voranzutreiben. Vier, vielleicht fünf Jahre gehen wohl noch ins Land, bis sie damit auf breiter Front ernst machen werden - und dem Beispiel Rupert Murdochs folgen, dessen "Wall Street Journal" mit einigem Erfolg bereits heute als kostenpflichtiger Dienst bestehen kann.

Das wäre auch eine Chance für die "Netzeitung" gewesen, die damit, nach Jahren der verlegerischen Unentschlossenheit und der damit verbundenen Entscheidungsstarre, erneut die Vorreiterrolle übernommen hätte. Doch zu einem solchen Schritt fehlten den Verlegern in Köln offenbar der Mut und die Weitsicht - womöglich auch die verve, die es braucht, um in Zeiten zunehmender medialer Beliebigkeit und offensichtlicher Gleichschaltung überraschende Akzente zu setzen.

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