Dienstag, 24. November 2009

Content-Gebühr durch die Hintertür

In Zeiten wegbrechender Werbeeinnahmen und sinkender Verkaufszahlen wollen Deutschlands Presseverlage nicht länger tatenlos zusehen, wie ihre Zunft wirtschaftlich vor die Hunde geht. Zahllose Sparrunden haben sie veranstaltet, Tausende Mitarbeiter nachhause geschickt und auf Geheiß der deckungsbeitragsgeilen Controller so gut wie jede Publikation bis zur Silhouette verschlankt (respektive etliche zu Tode saniert). All das scheint nicht geholfen zu haben, um sich des übermächtigen Molochs Internet zu erwehren. Jetzt legen die Printbarone noch einmal nach und machen ihren Einfluss in der Politik - genauer: in der schwarz-gelben Regierung - geltend.

Unter Bezug auf das im Koalitionsvertrag stehende Leistungsschutzrecht für journalistische Inhalte im Netz solle nach Vorstellung der Verlage "in Zukunft kostenpflichtig werden, was heute für jeden Nutzer selbstverständlich und wesentlich ist: die Verlinkung von Beiträgen und die kleinen Ausschnitte (Snippets) in den Suchergebnislisten", heißt es heute in der "FTD". Das Blatt bezieht sich auf Aussagen führender Verlagsmanager anlässlich einer Podiumsdiskussion zum Thema Paid Content vergangene Woche in Berlin. Begründet wurde die absurde Forderung nach kostenpflichtigen Links und Snippets damit, dass nur so die Urheber der Beiträge gerecht entlohnt werden könnten.

Ganz gleich, ob derlei Aufwand technisch realisierbar wäre - woran es begründete Zweifel gibt -, zeigt die Idee indes, in welche Richtung die Verleger denken: Im gleichen Atemzug räumten sie nämlich ein, dass nicht die einzelnen Nutzer direkt zur Kasse gebeten würden, sondern die Anbieter, auf deren Seiten jene Links und/oder Snippets verwendet werden. Eine (noch zu gründende) Verwertungsgesellschaft müsse dann sicher stellen, dass die Obolus eingesammelt und an die Verlage ausgezahlt werden. Wie am Ende die Urheber, sprich: die Autoren, ihren Anteil bekommen sollen, steht allerdings noch in den Sternen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Paid Content - die deutschen Verlage steuern munter in eine Sackgasse. Während andernorts Modelle mit Micropayments einigen Erfolg aufweisen und fortschrittliche Verlage das unter Software-Entwicklern populäre Prinzip der Donationware für ihre Online-Inhalte testen, versuchen es die hiesigen Printmedien mit der Brechstange und wollen durch die politische Hintertür quasi eine GEZ für Online-Mediennutzung installieren - die nicht direkt beim Nutzer die Klinke putzt, sondern - subtiler noch - beim Anbieter die Hand aufhält.

Keine Frage: Qualitativ hochwertiger Journalismus kostet Geld, seine Produkte sollte es nicht per se gratis geben. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie in Form bedruckten Papiers oder als digitale Inhalte vorliegen. Nur ist es höchst fragwürdig, den Nutzern dafür eine (indirekte) Pauschale abzuverlangen. Denn nichts anderes käme dabei heraus, wenn Anbieter oder Provider für Links und Snippets zahlen müssten - weil sie die dadurch anfallenden Kosten ihrerseits auf die Kunden umlegten. Mit anderen Worten: Auch wenn du nicht jeden Morgen Brötchen beim Bäcker kaufst, müsstest du ihm bei diesem Modell monatlich eine fixe Summe zahlen, weil er sie für dich bereithält und du sie theoretisch kaufen könntest. Der Bäcker minimiert sein Risiko auf Kosten deiner Kasse. Ob die Bäckerinnung eine solche, zumal gesetzlich verordnete Brötchen-Flatrate durchsetzen könnte, ist fraglich. Und ebenso wenig wünschenswert wie die jetzt von den Verlagen angestrebte Content-Gebühr.

Mittwoch, 18. November 2009

Wer kauft den "Playboy"?

Hugh Hefner trennt sich von den Bunnies. Der 83-jährige Gründer des "Playboy" sucht nach Kräften einen Käufer für sein angeschlagenes, höchst defizitäres Männermagazin. Das Blatt stehe mit geschätzten 100 Millionen Dollar in der Kreide, heißt es in informierten Kreisen. Das Dreifache will der greise Frauenschwachmacher nun mit dem Verkauf erlösen - um auf seine alten Tage nicht plötzlich auf der Straße zu landen. Wer will es dem "Grand Daddy of Soft Porn" da verdenken, dass er derzeit für Angebote aller Art offen ist? Hier drei potenzielle Übernahmekandidaten:

1. Das Pentagon - dessen Abteilung "Interne Kommunikation" in dem freizügigen Centerfold-Blatt gewiss das ideale Sprachrohr für die Truppe hätte. Zwar stehen auch immer mehr Frauen in Diensten der US Army. Die würden dann aber, wie bisher auch, die tollen Interviews lesen dürfen, mit denen Männer den Besitz eines "Playboy"-Hefts ja zu gern rechtfertigen. Den von Hefner erhofften Verkaufspreis dürfte das US-Verteidigungsministerium mit einem winzigen Bruchteil seiner Portokasse bestreiten können: Der US-Verteidigungshaushalt beläuft sich im kommenden Jahr auf 533,7 Milliarden Dollar.

2. Die Taliban - sie würden das Blatt glatt ohne Interviews und sonstige, vom wesentlichen Inhalt ablenkende Beiträge drucken und 98 Prozent nackte Körper zeigen. Das nicht etwa, um selbst Entsagtem etwas entgegen zu setzen, sondern um das Magazin in millionenfacher Auflage unter den NATO-Truppen in Afghanistan zu verbreiten. Das Kalkül der Gotteskämpfer ist simpel: Soldaten, die gerade hinter der Spindtür Hand anlegen, können keine Tanklaster in die Luft sprengen oder die lukrative Mohnernte stören - aus deren Erlösen übrigens die Übernahme finanziert würde.

3. Der Vatikan - hat Geld genug, um Hefner vor dem Bankrott zu retten. Und Grund genug obendrein: Mit diesem Coup würde es der Katholischen Kirche gelingen, eine weitere, seit Jahrzehnten uneinnehmbare Bastion der sexuellen Freizügigkeit auszuschalten. Es versteht sich, dass die Mannen um Vorstandschef Ratzinger kein wirkliches Interesse daran hätten, das Blatt weiterhin zu publizieren. Es würde, samt der Marke "Playboy", in die Tonne gesteckt. Und die Kosten kämen durchs Personal-Leasing von zu Osterhasen umfunktionierten Bunnies auch wieder rein. Hauptkunde: Berlusconi.

Montag, 16. November 2009

Flirt-Wortschatz, advanced course

Wieder einmal erweist sich die Kleine Pause in HH-Eimsbüttel als großer Gewinn. Nicht etwa nur, weil ich dort meinen Hunger stillen kann und die wohl leckerste Currywurst außerhalb Berlins bekomme, sondern auch und gerade wegen des interessanten Sprachschatzes der Gäste, die sich allabendlich am Tresen niederlassen, um Astra oder sonstige Kultgetränke hinunter zu kippen.
So notierte ich heute den Begriff Proforma-Anmache - gelassen ausgesprochen von einer in unmittelbarer Nachbarschaft und damit in Hörweite sitzenden Frau, die mit diesem verbalen Totschläger ihren Nebenmann kurzentschlossen abtropfen ließ. Hier ein Ausschnitt des zunächst angeregten, dann aber abrupt endenden Dialogs:

Er: "Wir haben uns lange nicht gesehen, V. ... Seit wann bist du wieder in Hamburg?"
Sie (kramt geschäftig in der Handtasche und wendet sich dann ihrem Gesprächspartner zu): "Stimmt, kommt mir wie 'ne kleine Ewigkeit vor. In Zukunft lassen wir nicht so viel Zeit verstreichen."
Er (lächelt): "Nee, das würd' ich sowieso nicht aushalten."
Sie (mit dem Gesichtsausdruck eines pausbäckigen Fragezeichens): "Wieso?"
Er (leiser): "Weil du mir echt ganz schön gefehlt hast ..."
Sie: "Ach lass, ma'. Deine Proforma-Anmache kannst du dir sparen, M."

Er trank dann noch, sichtlich verstört, das Bier aus, um sich schließlich - schneller, als anfangs zu erwarten war - von ihr zu verabschieden. Die (nicht gestellte) Frage, wie viel Zeit denn bis zum nächsten Treffen vergehen werde, ließ er unbeantwortet.

Montag, 9. November 2009

Autonome Region Mauertanien

Jeder achte Deutsche will die Mauer zurück. Mit dieser Meldung verstört die "Leipziger Volkszeitung" pünktlich zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls die Republik. Bei einer von dem Blatt initiierten repräsentativen Umfrage des Leipziger Instituts für Marktforschung kritisierten mehr als ein Drittel der Befragten, dass Wirtschaft, Sozialwesen und Politik - und damit der Kern der Lebensbedingungen - zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR wesentlich ungerechter seien als zur Zeit der beiden deutschen Staaten. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte im September eine Forsa-Umfrage, bei der sich fast jeder sechste Teilnehmer für den sofortigen Wiederaufbau der Mauer aussprach - übrigens zu annähernd gleichen Teilen in Ost und West.

"Something's rotten in the State of Germany", könnte man - frei nach Shakespeare - folgern. Das aber wäre zu kurz gegriffen, denn derzeit herrscht weltweit große Unzufriedenheit mit dem Kapitalismus: Eine Studie im Auftrag der britischen BBC förderte jüngst zutage, dass nur elf Prozent der Befragten in 27 Ländern der Ansicht sind, der Kapitalismus funktioniere gut. Lediglich in den USA (25 Prozent) und Pakistan (21 Prozent) war mehr als jeder Fünfte mit der aktuellen Wirtschaftsordnung zufrieden.

Die Bestandsaufnahme ist beunruhigend, wenngleich kaum überraschend. So beunruhigend aber doch, dass Leute wie Martin Sonneborn und dessen Sammelsurium querdenkender politischer Grenzgänger es sich nicht nehmen ließen, an der ehemaligen innerdeutschen Grenze eine Aktion zu inszenieren, bei der sie die Mauer wieder aufbauen wollten. Das war freilich ein halbherziger, vor allem an die Medien adressierter Akt, um die Aufmerksamkeit für ihre bei der Bundestagswahl nicht zugelassene Partei "Die Partei" zu steigern.

Konsequenter wäre es doch, die zwölf bis 16 Prozent der Deutschen, die sich die Mauer zurückwünschen, gleich mit einer ebensolchen zu umgeben. Etwa in den idyllischen Bundesländern Thüringen und Sachsen-Anhalt. Zwar ergeben beide Länder zusammen nur rund ein Zehntel des gesamten bundesdeutschen Territoriums. Es dürfte aber kaum Probleme bereiten, die Mauerfreunde auf diesem Areal zusammenzufassen. "Blühende Landschaften" gibt es dort auch, etwa den Rennsteig in Thüringen oder die Wörlitzer Parkanlagen. Dort könnten sie sich nahezu ungestört austoben. Selbst ein paar größere Städte sind in der Region vorhanden, die mit allerlei Industrie, Dienstleistung, sozialer Infrastruktur und Kultur im Grunde alles bieten, was die Bürger von Mauertanien - so der Name der neuen autonomen Region inmitten der Bundesrepublik - sich wünschen.

Wer jetzt meint, das röche verdammt nach Ausgrenzung oder Ghettoisierung - hat natürlich recht. Und als verantwortungsbewusster Staat sollte die Bundesrepublik in der Tat einschreiten und eine derartige Entwicklung verhindern. Hat sie aber nicht - ganze 20 Jahre lang. So ist die Fraktion derer, die sich die Mauer zurückwünschen, Jahr um Jahr größer geworden. Was liegt da näher, als das Autonomiestreben dieser immerhin zehn bis zwölf Millionen Menschen nun endlich nach Kräften zu fördern? Volkswirte könnten argwöhnen, dass die Produktivität der Restrepublik darunter litte. Doch dieser Effekt dürfte nur vorübergehend sein. Denn die jüngsten Umfragen ergaben auch, dass die überwiegende Mehrheit der Mauersehnsüchtigen bereits älter als 50 Jahre ist. Nicht dass ältere Menschen weniger produktiv seien - aber sie sind weniger reproduktiv. Und so dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis das an die autonomen Republikflüchtlinge verliehene Territorium mangels verbleibender Einwohner wieder annektiert werden könnte. Fast so wie vor 20 Jahren also.

Sonntag, 8. November 2009

So etwas wie ein Nachruf

Die jahrelange Agonie der "Netzeitung" ist vorbei. Kurz vor dem zehnjährigen Jubiläum kam jetzt das Aus per wortkarger Pressemitteilung. Das Aus, mit dem viele schon länger gerechnet hatten, das freilich dennoch niemand herbeisehnte - außer vielleicht den Controllern im fernen Köln, wo die Zentrale des Medienkonzerns DuMont Schauberg beheimatet ist, der das Blatt im April dieses Jahres übernommen hatte.

Zum 31. Dezember wird Deutschlands wohl bekannteste Nur-Netz-Zeitung nun dicht gemacht, und die inzwischen auf zwölf angestellte und eine wechselnde Anzahl freier Mitarbeiter geschrumpfte Mannschaft bekommt den Laufpass. Goldene Handschläge, wie andernorts üblich, wird es wohl nicht geben - betriebsbedingt wird ihnen gekündigt, der Betrieb der Seite indes noch im ersten Quartal 2010 fortgesetzt, um "bestehende vertragliche Verpflichtungen" einzuhalten, wie es heißt.

Wenn alle von Bord sind, soll netzeitung.de dann als "automatisiertes Nachrichtenportal" fortbestehen. Fragt sich, ob dann noch irgend jemand die Seite besuchen wird, wenn dort bloß ein beliebiger Newsfeed abgespult wird und keine Menschen mehr die Nachrichten auswählen und verdichten, keine Redakteure mehr ihre Geschichten und mitunter pointierten Kommentare als Lesefutter anbieten. Gewiss, sie haben zuletzt nicht mehr ein Millionenpublikum erreicht und nicht in derselben Liga gespielt wie "SpOn" oder ähnliche News-Portale. Aber sie haben immer wieder Akzente gesetzt, etwa mit ihrer gut informierten Medienkolumne oder dem erfrischenden Blogblick, mit ihren Filmkritiken - und mit ihrer Schnelligkeit. Kaum ein anderes Online-Medium ist beständig so aktuell gewesen wie die - seit geraumer Zeit nur noch mit einer Rumpfredaktion ausgestattete - "Netzeitung".

Die Trauer wird dennoch kurz sein, denn das Netz ist schnelllebig. Und auch die Blüte der heute erfolgreichen Nachrichtenseiten dürfte nurmehr von kurzer Dauer sein: Immer mehr Verlage überdenken die Geschäftsmodelle ihrer für die Leser bislang kostenlosen Angebote. Erst jüngst, auf den Medientagen in München, kristallisierte sich die vorherrschende Meinung der Verleger heraus, die Sache mit dem paid content endlich richtig voranzutreiben. Vier, vielleicht fünf Jahre gehen wohl noch ins Land, bis sie damit auf breiter Front ernst machen werden - und dem Beispiel Rupert Murdochs folgen, dessen "Wall Street Journal" mit einigem Erfolg bereits heute als kostenpflichtiger Dienst bestehen kann.

Das wäre auch eine Chance für die "Netzeitung" gewesen, die damit, nach Jahren der verlegerischen Unentschlossenheit und der damit verbundenen Entscheidungsstarre, erneut die Vorreiterrolle übernommen hätte. Doch zu einem solchen Schritt fehlten den Verlegern in Köln offenbar der Mut und die Weitsicht - womöglich auch die verve, die es braucht, um in Zeiten zunehmender medialer Beliebigkeit und offensichtlicher Gleichschaltung überraschende Akzente zu setzen.

Freitag, 6. November 2009

Hotline nach Mekka

Dieser Tage ist es nicht leicht, Menschen zu bekehren. Schon gar nicht zum Islam - vor allem wegen der schlechten Presse. Findige Muslime haben deshalb in die Trickkiste der Telekommunikation gegriffen und eine Hotline nach Mekka eingerichtet, genauer gesagt: nach Rabwa bei Riad. Im dortigen Missionszentrum arbeiten laut einem Bericht der saudischen Zeitung "Okas" derzeit 18 Vollzeitangestellte und 50 Teilzeitkräfte rund um die Uhr, um Wechselwillige von den Vorzügen des Islam zu überzeugen.

"Bring mich zum Islam" heißt die weltweit erreichbare Hotline, die vor rund einem Jahr aus der Taufe (sic!) gehoben wurde und deren Mitarbeiter seither 800.000 Telefonate mit potenziellen Konvertiten geführt haben. Das Ergebnis ist freilich mager: Nur knapp 5500 Menschen habe man bislang zum Wechsel der Konfession bewegen können, heißt es. Verständigungsprobleme dürften nicht der Grund für die schwache Ausbeute sein, denn die Missionare der Hotline beherrschen immerhin zwölf Sprachen. Vielleicht haben Mohammeds Call-Agents aber nicht die passenden Telefonlisten und rufen einfach bei den falschen Leuten an? ... Äh, Moment, mein Handy klingelt.

Montag, 2. November 2009

Solarstrom aus der Sahara - eine Fata Morgana?

Alles ganz schön heiß. Die Sonne brennt mit gefühlten achtzig Grad auf den Sand; nur gelegentlich regt sich ein Lüftchen, das sich hierher verirrt haben muss. Weiter südlich, im Sahel, dörren die Felder aus, schlagen sich die Leute für einen Tropfen Wasser schon mal gegenseitig die Schädel ein: Fürs Überleben über Leichen gehen ist beinahe salonfähig in jenen Breiten.

Und jetzt kommen schon wieder die Europäer. Wollen zwischen trockenen Wadis und spärlich gesäten Oasen das weltgrößte Solarfeld in der nordafrikanischen Wüste errichten. Viel Geld ist im Spiel, viel Prestige ebenfalls. Von "solarem Neokolonialismus" ist bereits die Rede. "Die haben da so viel Sonne", sagt einer, der es wissen muss, aber ungenannt bleiben will, "dass wir im Grunde nur genügend Kollektoren aufbauen müssen, um bis zu 15 Prozent des europäischen Strombedarfs zu decken."

So weit, so kühn, so optimistisch. Dieser Optimismus hat hierzulande eine Schar von Machern geradezu beflügelt, das gigantische Projekt Desertec voranzutreiben. Am vergangenen Freitag trafen sie sich in München und gründeten die Entwicklungsfirma DII, die ein Jahresbudget von zwei Millionen Euro hat. Verglichen mit dem Desertec-Investitionsvolumen von geschätzten 400 Milliarden Euro hört sich das nach einer lächerlichen Summe Spielgeld an. Doch mehr konnten die Solar-Protagonisten bislang nicht einsammeln - obgleich eine Reihe von Großkonzernen das Projekt befürworten, darunter die Deutsche Bank, Eon, RWE und der Maschinenbauer ABB.

"Natürlich sind die Konzerne vorsichtig", sagt der öffentlichkeitsscheue Insider. "Sie wollen ihr Geld nicht von der Sonne verbrennen lassen." Und das Risiko sei nicht eben gering. So wisse bislang niemand, wie die mit dem Projekt verbundenen politischen Fragen zu beantworten seien: Wie können die nordafrikanischen Staaten sicherstellen, dass ihre Interessen gewahrt werden und nicht nur die Europäer von Desertec profitieren? Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um das gigantische Solarfeld vor Terrorattacken zu schützen? Auch der Transport des in der Sahara erzeugten Stroms über Hunderte oder Tausende Kilometer hinweg in die Verbrauchszentren stellt das Solar-Konsortium vor Probleme, denn auf dem Transportweg geht ein nicht geringer Anteil der gewonnenen Energie als Abwärme verloren.

Rund drei Jahre Zeit haben Desertec-Chef Paul van Son und seine Mitarbeiter nun, um die technischen und regulatorischen Dinge zu klären. Bis 2012 wollen sie die Argumente der Kritiker widerlegen. Etwa jenes des SPD-Energieexperten Hermann Scheer, der gegenüber "Spiegel Online" jüngst die Meinung vertrat, dass "der Gesamtaufwand des Projekts kaum kalkulierbar" sei. "Desertec ist eine Fata Morgana, die nicht ausreichend politisch und wirtschaftlich betrachtet worden ist", so Scheer. Die Solar-Gläubigen hätten zum Beispiel nicht kalkuliert, dass Sandstürme, die in der Sahara regelmäßig vorkommen, die Anlagen zerstören könnten. Und nicht zuletzt brauche man für die Solarthermie-Technik Wasser: "Wo soll man das denn regelmäßig günstig herschaffen?", fragt der Experte.

Paul van Son gibt sich derweil gelassen. In einem Interview mit der "Financial Times Deutschland" unterstrich der Energie-Manager heute, dass "weder der Stromtransport noch politische Fragen unlösbare Probleme" darstellten. Als Beispiel dient ihm die Stromerzeugung aus Wasserkraft, wie sie in Kanada betrieben wird. Dort würde die kostbare Energie zum Teil über Strecken von 2000 Kilometern transportiert - mit vergleichsweise geringen Verlusten.

Ohnehin ist die Technik wohl eher das kleinere Problem, meinte unlängst Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik, ebenfalls in der FTD: "Wenn das Projekt Erfolg haben soll, muss eine Win-win-Situation quer über und um das Mittelmeer hergestellt und die Verantwortung für den Erfolg geteilt werden. Nur wenn die lokalen Partner voll integriert werden, besteht Aussicht auf baldige Umsetzung."

Utopia - zum Greifen nah? Mitnichten. Wer sich die langwierige und mit Hindernissen übersäte Enstehungsgeschichte der von den Anrainerstaaten angestrebten Mittelmeerunion ansieht, muss zu dem Schluss kommen, dass ein Projekt wie Desertec - so verheißungsvoll es sein mag - vermutlich zum Scheitern verurteilt ist. Paul van Son, der übrigens eine private Stiftung in Afrika leitete, bevor er zu Desertec kam, bleibt dennoch zuversichtlich: "Energietechnisch", so der Unbeirrte im FTD-Interview, "ist die Sahara geradezu ein Paradies." Dieses Potenzial will er nicht ungenutzt lassen.