Sonntag, 25. Juli 2010

Stecker ziehen

Es ist an der Zeit, die Verbindungen zur in weiten Teilen degenerierten, fehlgeleiteten 2.0-Welt zu kappen, schreibt Jaron Lanier, Philosoph und Vordenker aus der Pionierphase des Internets. In seinem kürzlich erschienenen Buch "You are not a Gadget" malt der altersweise Lanier ein Horrorgemälde des Social Webs und lässt kein gutes Haar an dessen mit - angeblich - 500 Millionen Mitgliedern derzeit verbreitetster Inkarnation: Facebook.

Folgt man seiner Argumentation, die in weiten Teilen schlüssig ist, zuweilen aber leicht paranoid klingt, verkümmerten Individualität und Kreativität der Nutzer von Facebook und Co. in bedrohlichem Ausmaß. Zugunsten von (anonymer) Anerkennung und "fragwürdigem Ruhm", so Lanier, begnügten sich die Nutzer des Social Webs immer mehr mit dem von den Internet-Konzernen bereitgestellten Schema erlaubter/möglicher Darstellungs- und Äußerungsformen. "Die Kreativität, die auf individuellen Websites möglich und sichtbar war, ist nurmehr ausnahmsweise vorhanden", stellt der einstige Internet-Guru ernüchtert fest und folgert daraus, dass Social-Media-Plattformen eine Art digitales Opium fürs Volk seien. Indem sie sich bei Abermillionen Menschen anbiedern und eine universelle Plattform für Kommunikation und Expressivität bilden, gaukeln sie eben dieser gigantischen und überaus heterogenen Zielgruppe vor, jede/r könne sich als Nutzer dieser Plattformen kreativ mit sogenannten Freunden und Freundesfreunden austauschen. Unterm Strich aber, so Lanier, seien derlei Angebote nichts weiter als mediale Gleichschaltung. Schon längst gehe es den Betreibern nicht mehr um das Wohl und die Wünsche der Nutzer, denn freilich regiert König Mammon auch diesen Winkel der Welt. Und weil eine Infrastruktur, die zum Betrieb eines Dienstes wie Facebook notwendig ist, auch bezahlt werden muss, gehe es für Marc Zuckermann und seinesgleichen inzwischen vorrangig ums wirtschaftliche Überleben.

Zwar hatte der Facebook-Gründer erst jüngst verlauten lassen, dass ein Börsengang seines Unternehmens vorerst nicht geplant sei. Umso mehr muss sich Zuck, wie Vertraute den Web-2.0-Überflieger nennen, Gedanken machen, auf welche Weise er überhaupt Geld machen kann. Mit ernstzunehmenden Werbeeinnahmen, beim Widersacher Google inzwischen eine belastbare Säule, dürfte Facebook erst dann rechnen, wenn das Unternehmen eine Methode entwickelt hat, um das Wissen über die (Konsum-)Vorlieben der Nutzer sinnvoll an die Media-Industrie weiterzugeben. Und davon ist Zuck meilenweit entfernt - auch weil in diese Richtung zielende Experimente wie "Beacon" sich aufgrund der vehementen Kritik der Nutzer schnell zum Bumerang entwickelt hatten.

Lanier ist gleichwohl sicher, dass es nur noch eine Frage der (kurzen) Zeit ist, bis die gleichgeschalteten 2.0-Jünger dazu genötigt werden, immer mehr Informationen über ihre (Kauf-)Interessen preiszugeben - und letztlich deren werbewirtschaftlicher Verwertung zustimmen, weil sie auf die lieb gewonnenen Dienste nicht mehr verzichten wollen (oder können). "Social Media Addicts", die die anfangs kostenlose Einstiegsdroge künftig mit der Preisgabe persönlicher Informationen bezahlen müssen. Wer nicht mitmachen will, fliegt entweder raus oder darf nur noch Basis-Dienste nutzen.

Als möglichen Ausweg skizziert Lanier, ganz Moralphilosoph, den präventiven Verzicht auf die Annehmlichkeiten des sozialen Webs. Weil wir uns nicht zu "gadgets" machen lassen dürfen, müssten wir rechtzeitig den 2.0-Stecker ziehen und uns wieder der eigentlichen Kreativität zuwenden - multiform statt uniform. Das bedeute zwar mehr Aufwand und eine intensivere Beschäftigung mit den Möglichkeiten des Mediums, verheiße aber freiere und bedingungslosere Schöpfungskraft.

Freitag, 8. Januar 2010

Sarkozys protektionistische Reflexe

Die französische Regierung gibt sich einfallsreich bei der Rettung der klassischen Medien. Staatspräsident Sarkozy liebäugelt seit kurzem mit einer sogenannten Google-Steuer, um mit den Einnahmen etwa den angeschlagenen Printimperien und Musikkonzernen des Landes unter die Arme zu greifen. Eine jüngst von Sarkozy eingesetzte Kommission, die vom Chef des Plattenlabels Naive geleitet wird, bei dem auch Präsidentengattin Carla Bruni unter Vertrag ist, fordert eine Abgabe von ein bis zwei Prozent auf Werbeeinnahmen im Internet. Mit dem jährlichen Erlös von schätzungsweise 20 Millionen Euro könnten Berichten zufolge eine Kampagne gegen Raubkopierer finanziert und marode Verlage subventioniert werden.

Die Idee an sich ist nicht neu: Auch Berlin plant laut Koalitionsvertrag auf Druck der Verlage ein sogenanntes Leistungsschutzrecht für Medien (SyntaxSurfer berichtete). Danach sollen Pressehäuser die Möglichkeit bekommen, Lizenzzahlungen von Anbietern wie Google zu verlangen und damit an den Online-Erlösen mitzuverdienen.

Sarkozys Vorstoß dürfte von vornherein zum Scheitern verurteilt sein, zumal die geplante Steuer das Wesen des Internets völlig verkennt und dessen Mechanismen ignoriert: Wie soll die Steuerschuld exakt berechnet und von Frankreich eingetrieben werden, wenn die meisten Unternehmen, die Sarkozy ins Visier genommen hat (neben Google auch Yahoo, Microsoft, Facebook und andere Anbieter von Suchdiensten und Social-Networking-Plattformen), ihren Hauptsitz in den USA haben, die Verwaltungen etwa in Irland oder auf den Cayman Inseln angesiedelt und die Server über den gesamten Erdball verstreut sind? Ob die Kommission darauf die passenden Antworten findet, ist fraglich.

Der in jüngster Zeit immer öfter zu beobachtende Neo-Protektionismus ist nichts weiter als ein - vielleicht letzter - Reflex der Old Economy, mithilfe der Politik die tradierte Wirtschaftsordnung am Leben zu halten. Eine Ordnung, die freilich jahrezehntelang funktionierte und den Reichtum der Verleger zu mehren imstande war, die sich inzwischen aber überlebt hat. Ihre Protagonisten wollen sie - aus nachvollziehbaren Gründen - auf Gedeih und Verderb erhalten und suchen daher Verbündete im politischen Lager. Solange deren Ideen aber ebenso anachronistisch und unbeholfen sind wie die der französischen und deutschen Regierungen, dürfte der Niedergang der alten Ordnung nicht aufzuhalten sein. Vive la révolution!